Kapitel 23

Abby fühlte sich wie eine Flasche Sekt, die geschüttelt worden war, bis sie zu platzen drohte. Sie hatte nicht gewusst, dass die Anspannung ihrer Nerven so groß werden konnte. Oder dass sie in einem Raum dermaßen frieren konnte, in dem die Luft zum Schneiden war.

Noch schlimmer war dabei die Tatsache, dass sie nicht wusste, ob es ihr Aufenthalt in dem Versteck der Hexen war, der sie so nervös machte, oder der Anblick ihres Geliebten, der in der Türöffnung stand.

In den Schatten hätte er auch aus reinstem Marmor gemeißelt sein können. Seine Alabasterzüge waren vollkommen ausdruckslos. In den silbernen Augen war kein Lebenszeichen zu erkennen. Kein einziger Muskel zuckte in dem großen, eleganten Körper.

Er hätte eine wunderschöne Schaufensterpuppe sein können, wenn die Fangzähne nicht gewesen wären, die im Kerzenlicht glitzerten.

Schließlich räusperte Abby sich. »Dante?«

Er zuckte mit keiner Wimper. »Ja?«

»Du wirkst ziemlich vampirisch. Alles in Ordnung?«

Es folgte eine lange Pause, bevor Bewegung in seinen Körper zurückkehrte und er sich langsam umdrehte, um ihrem Blick zu begegnen.

»Es gefällt mir nicht, hier zu sein.«

»Mir auch nicht«, murmelte sie. »Es ist so stickig hier drin, aber ich friere. Das ergibt keinen Sinn.«

Dantes Blick war finster. »Magie?«

Abby dachte nach. Sie war nicht gerade eine Expertin auf dem Gebiet. Zum Teufel, sie war nicht einmal eine Amateurin. Schon eher ein stümperhafter Clown.

Trotzdem konnte sie etwas in der Luft spüren. Eine düstere Vorahnung, die ihre Haut zum Kribbeln brachte und ihr den Magen zusammenzog.

»Es fühlt sich eher an wie Magie, die darauf wartet, dass sie passiert«, versuchte sie das seltsame Gefühl zu erklären. »Es ist wie ein Gewitter, das immer näher kommt. Man kann die Elektrizität in der Luft spüren, bevor der Blitz einschlägt.«

»Also, was hecken sie aus?«

Abby zitterte. Sie trat zu Dante und stellte sich direkt vor ihn. Eigentlich hatte sie gehofft, dass das Zusammentreffen mit den Hexen ihr ihre ungewissen Ängste nehmen würde. Stattdessen war der Drang zu fliehen überwältigender als je zuvor.

Da lag etwas... Verdorbenes in der Luft.

Ein Anflug von Fäule direkt unter der Oberfläche.

»Ich weiß nicht.« Abby legte Dante die Hand auf den Arm. »Vielleicht sollten wir einfach verschwinden, Dante.«

»Nein.« Er legte seinerseits seine Hand auf ihre. Seine Miene war grimmig. »Nicht, bevor du sicher bist.«

»Sie klang nicht danach, als ob sie mich unbedingt vom Phönix befreien wollte.«

»Wenn du sie davon überzeugst, dass du dich nicht lenken lässt wie eine Marionette, wird sie gezwungen sein, einen neuen Kelch zu suchen. Der Hexenzirkel betrachtet den Phönix als sein Eigentum, und er wird die Kontrolle darüber nicht verlieren wollen. Selbst wenn das bedeutet, den Geist zu gefährden.«

»Du meinst, ich ganz allein?«

Ein winziger Anflug von einem Lächeln bildete sich in Dantes Mundwinkeln. »Genau das meine ich.«

»Und was ist mit dir?«

Sein Gesicht nahm einen verschlossenen Ausdruck an. »Ich kann auf mich selbst achtgeben.«

Abby verschluckte ein Seufzen. Es war sein Ich-Neandertalerund-ich-stelle-mich-dumm-wenn-ich-will-Gesichtsausdruck.

Vampire.

»Nicht, wenn sie dich an einen neuen Kelch fesseln. Du wirst ihnen ausgeliefert sein.«

Er zuckte eine Schulter. »Ich bin ihnen bereits ausgeliefert. Es wird sich nicht viel verändern.«

Abby sah ihn entgeistert an. »Ich will, dass du frei bist.«

»Eins nach dem anderen, Liebste. Zuerst müssen wir sicherstellen, dass Edra versteht, dass es dir damit, dich des Phönix entledigen zu wollen, ernst ist. Ich hatte gehofft, sie habe bereits einen anderen Kelch ausgewählt und sei darauf erpicht, uns zu helfen. So, wie es jetzt aussieht...«

»Was?«

Er knirschte mit den Zähnen. »Sie wirkt vielleicht alt und gebrechlich, aber sie geht mit der Magie um wie ein Gladiator mit dem Schwert, und es ist ihr gleichgültig, wer verletzt wird, wenn sie zum Schlag ausholt. Wir müssen vorsichtig sein, wenn wir sie überzeugen wollen, dich freizulassen, ohne dass sie Angst hat, du könnest ihre Feindin sein.«

»Also willst du, dass ich mich der Hexe widersetze, aber nicht so sehr, dass sie meinen Kopf in ihren Schmortopfstecken will.« »Etwas in der Art.«

Abby sah ihn ironisch an. »Da verlangst du ja nicht gerade viel.«

Sein Gesichtsausdruck war ernst. »Das ist eine wichtige Angelegenheit, Liebste.«

»Ich weiß.« Mit einem Aufseufzen lehnte sie sich gegen seinen kräftigen Körper und schmiegte sich an ihn, während sich seine Arme um sie schlössen.

In der Ferne konnte sie die prickelnde Spannung eines in der Luft liegenden Zaubers spüren und die Kräuter sowie scheußlichere Inhaltsstoffe riechen, mit denen die Luft angereichert war.

Aber so fest von Dantes Armen gehalten zu werden hielt die drohende Finsternis fern. Was für eine Absurdität...

Abby wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber irgendwann zog Dante sie sanft in die Mitte des Zimmers und drehte sich um, um die Frau anzusehen, die mit einem Silbertablett in den Händen durch den Türeingang trat.

Abby blinzelte erschrocken, als die Fremde das Tablett auf einem niedrigen Tisch abstellte und sich aufrichtete, wobei ihre blonden Haare durch die Luft flogen.

Großer Gott, sie wirkte, als ob sie eigentlich in Algebra durchfallen und mit dem Football-Quarterback flirten sollte, anstatt für eine Horde Hexen die Dienerin zu spielen.

Natürlich war Alter nicht notwendigerweise ein Hinweis auf Reife, erinnerte sie sich selbst bitter. Als Abby achtzehn gewesen war, hatte sie schon mehr vom Leben gesehen als die meisten Frauen, die doppelt so alt waren.

Das Mädchen presste die Hände zusammen und hielt den Blick auf Abbys Gesicht gerichtet. Es dauerte einen Moment, bis Abby sich darüber klar wurde, dass Dante wahrscheinlich der erste Vampir war, den das Mädchen je getroffen hatte.

Oder wenigstens der erste Vampir, von dem sie wusste, dass er ein Vampir war.

»Die Meisterin hat gewünscht, dass ich Ihnen Erfrischungen bringe«, gelang es ihr schließlich zu stammeln.

Unwillkürlich hatte Abby eine Anwandlung von Mitleid mit dem Mädchen. Was auch immer der Grund dafür sein mochte, dass sie sich ihnen angeschlossen hatte - es war deutlich, dass sie nicht glücklich war. Das zeigte sich in der Anspannung ihres zu dünnen Körpers.

»Vielen Dank«, sagte Abby sanft. »Das ist sehr nett von dir.«

Etwas, was wie Überraschung wirkte, flackerte in den dunklen Augen auf, bevor das Mädchen zaghaft lächelte und sich zur Tür umdrehte.

Bevor Abby überhaupt bemerkte, was geschah, stand plötzlich Dante vor dem Mädchen. Abbys Lippen öffneten sich, um zu protestieren. Das Letzte, was sie brauchten, war eine neue Hexe, die im Salon einen hysterischen Anfall bekam.

Erstaunlicherweise schrie die junge Frau allerdings nicht entsetzt auf. Sie quiekte nicht einmal.

Stattdessen wurde ihr Gesicht schlaff, und ihre Augen nahmen einen glasigen Ausdruck an, als habe sie einen Schlag gegen den Kopf bekommen.

»Willst du nicht bleiben?«, flüsterte Dante so leise, dass Abby seine Worte kaum hören konnte.

»Ich... Es gibt so viel zu tun... Ich muss...«, begann das Mädchen zu stammeln.

Dante zeigte mit der Hand auf einen Stuhl in der Nähe. »Nimm Platz.«

Mit ruckartigen Bewegungen setzte sie sich.

Abby hielt den Atem an und trat vor. »Dante? Was hast du mit ihr gemacht?«

Er kniete sich vor den Stuhl, wobei sein Blick ständig auf die Hexe gerichtet blieb. »Sie ist jung und nicht dazu ausgebildet, Bannsprüche abzuwehren.«

»Was soll das heißen?«

»Im Augenblick habe ich Macht über sie.«

Abby betrachtete die junge Frau eingehend, die in ihren angenehmen Lähmungszustand versunken war, und ein kalter Schauder lief ihr über den Rücken.

»Verdammt.«

»Ich habe dir gesagt, dass ich dazu fähig bin.«

Abby schluckte schwer. »Zu wissen, dass du das kannst, und es tatsächlich zu sehen, das sind zwei ganz unterschiedliche Dinge.«

»Und jetzt hast du Angst?«

Abby überlegte lange, bevor sie den Kopf schüttelte. Sie konnte die Wahrheit spüren, die in seinem Herzen geschrieben stand.

»Nein.«

»Gut.« Seine Lippen kräuselten sich zu einem schalkhaften Lächeln. »Ich würde dich nie in meinen Bann ziehen, Liebste. Ich möchte kein Spielzeug ohne Verstand, sondern dich. Gleichgültig, wie halsstarrig oder übellaunig du manchmal bist.«

Abby konnte ihrerseits ein Lächeln nicht unterdrücken. »Du sagst immer so nette Sachen zu mir.«

Langsam wandte Dante seine Aufmerksamkeit wieder dem stummen Mädchen auf dem Stuhl zu.

»Sage mir deinen Namen«, forderte er sie auf. Er sprach leise und sanft. Es war eine Stimme, die golden in der Luft zu schimmern schien.

Das Mädchen beugte sich vor, eifrig darauf bedacht, es dem Mann recht zu machen, der sie so mühelos in seinen Bann zog.

»Kristy.«

»Kristy, wie lange bist du denn schon beim Hexenzirkel?«

»Nicht lange.« Sie runzelte die Stirn, als ob sie fürchtete, den Vampir möglicherweise zu enttäuschen. »Erst ein paar Wochen.«

Dantes Blick blieb fest auf die Hexe gerichtet. »Du weißt vom Phönix?«

»Natürlich. Er ist der Grund dafür, dass der Hexenzirkel existiert.

Er ist die Erlösung für uns alle.«

Dante wölbte eine Braue. »Erlösung?«

Ein inbrünstiges Leuchten erhellte das junge Gesicht. »Mit der geliebten Göttin werden wir der Finsternis ein Ende bereiten. Das Licht wird bis in alle Ewigkeit leuchten.«

Abby schlich näher. Sie verstand nicht, was das Mädchen da plapperte. Ewiges Licht, die Finsternis verbannen?

Aber sie spürte Dantes plötzliche Anspannung. Und das reichte aus, um in ihrem Kopf einen Alarm auszulösen.

Dante ignorierte Abbys Näherkommen. Er beugte sich vor, bis seine Nasenspitze beinahe die Nase der Hexe berührte.

»Wie bereitet ihr der Finsternis ein Ende?«

»Es gibt da einen Zauber. Ein Zauberspruch, mit dem man der Dämonenwelt für immer ein Ende bereiten kann.«

»Er ist wohl sehr mächtig.«

»Ja.« Das Mädchen erschauderte. »Nur die talentierteste Hexe kann sich Hoffnungen darauf machen, das Ritual durchzuführen. Es hat... die Letzte, die das versucht hat, getötet.«

»Wer war die Letzte, die es versucht hat, Kristy?« Dantes Hände schlössen sich fest um die Lehnen des Stuhls. »War es Selena, die versucht hat, den Zauber zu wirken?«

»Ich...«

»Und dadurch ist sie gestorben?« Seine Stimme enthielt eine tödliche Schärfe.

Abby hielt den Atem an. Ihre Gedanken wanderten zurück zu Selenas zerstörtem Körper und sprangen dann zu den Zauberbüchern, die sie in der Villa entdeckt hatten.

Verdammt. Sie hatte den Safe geöffnet und sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Gott, sie hatte sogar versucht, sie zu benutzen.

Und jetzt waren sie verschwunden. Wenn etwas Schlimmes geschehen würde, dann wäre es ihre Schuld.

Ein bekümmerter Ausdruck zeigte sich auf dem jungen Gesicht. »Ich... darf ihren Namen nicht aussprechen. Sie hat den Hexenzirkel verraten und wurde bestraft, wie es nötig war. Die Meisterin hat uns verboten, von ihr zu sprechen.«

»Ganz ruhig, alles ist gut«, beruhigte Dante das besorgte Mädchen. »Hat Edra vor, den Zauber auszuprobieren?«

Das Gesicht des Mädchens nahm einen erleichterten Ausdruck an. Das war eine Frage, die sie beantworten konnte.

»Ja, sie wird den Phönix benutzen, um den dunklen Herrscher zu bekämpfen und den Dämonen ein Ende zu bereiten.«

Die Anspannung in Dante wurde beinahe schmerzhaft. »Was für Dämonen?«

»Allen Dämonen.« Die Hexe lächelte mit einer beinahe unerträglichen Freude. »Und dann wird die Welt endlich rein sein.«

Abby runzelte die Stirn und rieb sich die Arme, als Dantes aufflackernde Wut sie traf.

»Zum Teufel«, keuchte er.

Mit einer ruckartigen Bewegung stand die Hexe auf. Etwas, was nach Schmerz aussah, verzerrte ihr Gesicht.

»Sie ruft mich. Ich muss gehen.«

Mit einer eleganten Bewegung erhob Dante sich und umfasste das Gesicht der jungen Hexe. »Kristy, gibt es noch etwas anderes, was du mir erzählen willst?«

Sogar Abby zitterte, als seine Macht in der Luft pulsierte.

»Das Blut ist mit Silber vergiftet«, flüsterte sie.

Abby keuchte auf, aber Dante nickte nur. Das war genau das, was er vermutet hatte.

»Du wirst zu Edra gehen. Du wirst dich nicht daran erinnern, mit mir gesprochen zu haben. Du hast das Tablett ins Zimmer gebracht und bist dann gegangen. Verstehst du?«, murmelte er.

»Ich habe das Tablett reingebracht und bin wieder gegangen«, plapperte sie seine Worte nach.

»Sehr gut.« Dante machte einen Schritt nach hinten. »Jetzt geh.«

Die Hexe verließ steifbeinig den Raum. Abby schüttelte den Kopf und streckte eine Hand aus.

Es gab so viele Fragen, die beantwortet werden mussten. Sie musste wissen, was vor sich ging.

»Warte...«

Dante packte sie an der Schulter und hielt sie davon ab, der sich entfernenden Gestalt zu folgen.

»Du solltest sie gehen lassen, Liebste. Edra wird misstrauisch werden, wenn sie ihrem Befehl nicht gehorcht.«

Abby wirbelte herum, um Dantes festem Blick zu begegnen. »Was hat sie gemeint?«

»Massenmord«, antwortete er fassungslos. »Ich hätte nicht gedacht, dass Edra so blutrünstig sein könnte.«

»Könnten die Hexen wirklich alle Dämonen töten?«

»Das scheinen sie jedenfalls zu glauben.«

Abby rang nach Luft. Sie konnte nicht einmal schätzen, wie viele Male sie in den vergangenen Tagen zu Tode erschrocken gewesen war. Wie oft sie gedacht hatte, dass irgendeine scheußliche Kreatur sie in Stücke reißen könnte. Aber so furchtbar das auch gewesen war, sie hatte festgestellt, dass nicht alle Dämonen Monster waren.

Meine Güte, Dante war ein Dämon. Und Viper. Und die wunderschönen Feen. Und Troy, der alberne Fürst der Kobolde.

Und die Shalott, die sich lieber foltern ließ, als Abby den Hexen auszuliefern. Sie würde tun, was auch immer nötig war, um den Völkermord aufzuhalten.

»Verdammt. Wir müssen sie stoppen«, murmelte sie. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie ein dermaßen hochgestecktes Ziel zu erreichen war.

Nachdem sie schon halbwegs erwartet hatte, dass Dante wie ein Wahnsinniger aus dem Raum stürmen würde, war sie überrascht, als er sie nur mit einem forschenden Blick ansah.

»Ist es das, was du willst? Sie stoppen?«

»Wie bitte?«

Er berührte mit den Fingern ihre Wange. »Abby, wenn wir gegen Edra kämpfen, dann wirst du den Phönix vielleicht nie wieder los.«

Entgeistert sah sie ihn bei diesen leisen Worten an.

»Denkst du etwa, ich würde dich opfern? Aus welchem Grund auch immer?«

Er zuckte elegant eine Schulter. »Um die Welt von dem Bösen zu befreien? Das scheint mir ein ziemlich edles Ziel zu sein.«

Abby trat auf ihn zu und packte ihn ärgerlich an seinem Seidenhemd. Wenn sie dazu imstande gewesen wäre, hätte sie ihn ordentlich geschüttelt. So allerdings konnte sie nur das schöne Material zerknittern.

»Das Böse ist nicht gleichzusetzen mit den Dämonen, Dante. Menschen sind genauso fähig zur Sünde wie jedes andere Wesen.«

Dantes Blick blieb unbeirrt. »Die meisten Leute würden uns für Monstren halten.«

»Nein. Nicht alle Dämonen sind Monster - so wenig, wie alle Menschen Heilige sind.« Sie erschauderte leicht. »Außerdem würde ich so einem Massaker nie zustimmen. Egal, wie gut die Absicht auch sein mag, es wäre falsch. Böse.«

Es folgte eine Pause, als versuche er, die Intensität ihrer Entschlossenheit zu bestimmen. Schließlich nickte er kurz.

»Wir müssen von hier verschwinden.«

Abby seufzte tief auf. »Gott sei Dank.«

Dante ergriff ihre Hand und steuerte mit Abby auf die Tür zu, wo er plötzlich anhielt.

»Verdammt.« Er zog sie wieder in die Mitte des Zimmers zurück, bis sie den niedrigen Tisch erreicht hatten, auf dem das unberührte Tablett stand.

»Was ist los?«

»Da kommt jemand.«

Abby schlug das Herz bis zum Hals, als sie sah, wie Dante das Glas mit dem vergifteten Blut in die Hand nahm.

»Was machst du?«

»Edra glauben lassen, dass sie sich eines Feindes entledigt hat.«

Mit einer so schnellen Bewegung, dass sie für das bloße Auge nicht zu erkennen war, goss er das Blut aus dem Fenster und trat wieder neben Abby. Dann streckte er sich überraschend auf dem nackten Boden aus. »Wenn die Hexen glauben, dass ich tot bin, habe ich bessere Möglichkeiten, einen Fluchtweg zu suchen.«

Abby biss sich auf die Lippe. Ihr gefiel dieser Plan nicht. Nicht, wenn er bedeutete, dass sie von Dante getrennt wurde.

»Aber meinst du nicht, Edra wird es wissen?«, fragte sie.

Er zog eine Augenbraue hoch. »Dass ich nicht tot bin?«

»Ja.«

»Abby, ich bin tot.«

Sie schnitt eine Grimasse.

Dantes Gesicht nahm einen düsteren Zug an. »Sei vorsichtig, Liebste. Ich werde, so schnell ich kann, dafür sorgen, dass wir von hier verschwinden können.«

Die Schritte waren nun nahe genug, um auch für Abbys menschliche Ohren hörbar zu sein.

»Lass es bitte sehr schnell gehen«, flüsterte sie.

Dante versank tief in sich selbst. Anders als bei den meisten Menschen würde bei der uralten Hexe mehr als ein regloser Körper nötig sein, um sie davon zu überzeugen, dass er tot war.

Glücklicherweise konnten sich Vampire so weit in sich selbst zurückziehen, dass nur noch ein anderer Vampir imstande war, den Lebensfunken zu spüren.

Keine Zauber, kein Hokuspokus würden die Wahrheit ans Licht bringen.

Dante verfolgte mit seinen Sinnen Edra, die sich stetig näherte, und Abby, die sich zu ihm herunterbeugte und sein Gesicht berührte. Er konnte die süße Hitze ihrer Haut und darunter den scharfen Geruch der Angst wahrnehmen.

Heftig musste er gegen seine Instinkte ankämpfen, damit er nicht seine Gedanken ausstreckte, um sie zu beruhigen. Selbst die kleinste Spur seiner Kräfte würde die Hexe auf ihn aufmerksam machen.

Die Schritte durchquerten den Raum, und Dante entdeckte den Geruch von Eisen in der Luft. Eigenartig. Die Frau trug wohl ein Amulett. Und zwar nicht das traditionelle Amulett aus Holz.

Dieses hier war hart und dunkel und rief ein Gefühl von düsteren Schatten hervor.

»Meine Herrin, stimmt etwas nicht?«, gurrte Edra mit geheucheltem Mitgefühl.

»Lieber Gott, etwas ist mit Dante passiert.« Die Angst in Abbys Stimme war unverkennbar. Ob sie von dem Entsetzen herrührte, den Klauen der Hexe ausgeliefert zu sein, oder von der Tatsache, dass Dante tatsächlich bemerkenswert tot wirkte, war unmöglich festzustellen. »Sie müssen ihm helfen.«

»Natürlich, ich werde sofort eine Heilerin kommen lassen. Kommt mit mir.«

Abbys Hand schloss sich fester um Dantes Wange. »Ich kann ihn hier nicht zurücklassen.«

»Verfugt Ihr über die Gabe, die Untoten zu behandeln und zu heilen?«

»Nein, aber...«

»Dann müssen wir jemanden aufsuchen, der diese Gabe besitzt.«

Ihre Anordnung klang vollkommen vernünftig, und Dante spürte, wie Abby langsam aufstand.

»Also gut.«

Es kostete ihn jeden Funken Willenskraft, den er besaß, nicht aufzuspringen und Abby davon abzuhalten, langsam den Raum zu verlassen.

Er wollte nicht, dass sie ihn verließ. Dass sie es riskierte, allein mit Edra zu sein.

Aber hatten sie eine andere Wahl?

Er konnte die Hexe nicht direkt angreifen. Nicht, solange er noch an den Phönix gebunden war. Und Abby war noch damit beschäftigt, sich mühsam an die Kräfte heranzutasten, die sie besaß.

Alles, was er tun konnte, war, den Hexenzirkel glauben zu machen, er sei nicht länger eine Bedrohung, und auf eine Gelegenheit zu warten, Abby aus der Gewalt der Hexen zu befreien.

Danach... nun ja.

Mit diesem »danach« würde er sich beschäftigen, wenn es so weit war.

Dante zwang sich zu warten und sich zu vergewissern, dass niemand anders den Raum betrat, wurde aber plötzlich von einem schwachen Pochen am Fenster abgelenkt.

Vorsichtig streckte er seine Sinne danach aus. Seine Lippen zuckten, als er mit einer fließenden Bewegung auf die Beine kam und den Raum durchquerte, um den Vampir anzusehen, der direkt vor dem Fenster stand.

»Viper.«

»Ein Schläfchen während der Arbeit?«, fragte der silberhaarige Vampir, während er durch das offene Fenster schlüpfte.

Dante hob die Augenbrauen, als Viper seinen Samtmantel glättete und die Rüschen seiner Manschetten zurechtzupfte.

»Wie bist du hereingekommen?«

Ein verschmitztes Lächeln glitt über die allzu schönen Züge des anderen Vampirs. Er griff unter sein Hemd und zog einen kleinen Lederbeutel heraus, der mit einem Lederband um seinen Hals befestigt war.

»Ein Geschenk von einer Voodoopriesterin.«

Dante runzelte die Stirn. »Was hast du darin?«

»Eine Auswahl an grässlichen Hilfsmitteln, die verwendet werden, um die Toten wiederzubeleben«, antwortete Viper gedehnt, wobei ein zynisches Lächeln seine Lippen umspielte. »Dadurch gehe ich als Lebewesen durch.«

Ein praktischer kleiner Gegenstand, das musste Dante zugeben. Und genau die Art von Gegenstand, die Viper üblicherweise sammelte. Er sah zu, wie Viper den Beutel unter sein Hemd schob. Unvermittelt zogen sich seine Brauen zusammen.

»Verdammt, was ist dir denn zugestoßen?«, verlangte Dante zu wissen, als er die Brandwunden auf dem glatten Fleisch bemerkte.

Mit einer ruckartigen Handbewegung schloss der ältere Vampir sein Hemd, um die Male zu verbergen.

»Es gab eine kleine Auseinandersetzung zwischen dem Schwarzmagier und mir.«

»Was für eine Auseinandersetzung?«

»Ich war der Ansicht, er solle tot sein, und er war anderer Meinung.«

Dante lächelte schief. Es hatte wenig Sinn, Viper Vorträge zu halten, was das Eingehen solcher Risiken anging. Wenn er sich erst auf der Jagd befand, konnte nichts ihn aufhalten.

»Ich nehme an, du hast ihn von deiner Denkweise überzeugt?«

»Schließlich ja.« Verärgerung flammte in dem blassen Gesicht auf. »Ich war nachlässig. Seine Macht war größer, als ich angenommen hatte.«

Also gab es keinen Schwarzmagier mehr. Ein Problem weniger, mit dem sie sich beschäftigen mussten.

»Was machst du hier?«

Vipers Präsenz schien plötzlich den ganzen Raum zu füllen. Selbst das Kerzenlicht wurde dunkler.

»Bevor ich ihm die Kehle herausriss, schwor der Magier, dass die Hexen die Absicht hätten, uns alle in die Abgründe der Hölle zu verbannen. Ich kam zu dem Schluss, dass ich dazu noch nicht bereit bin.«

Dante ließ eine Hand auf Vipers Schulter fallen. Es war nicht erforderlich, Worte zu wechseln. Sie würden gemeinsam jagen, wie sie es schon Jahrhunderte zuvor getan hatten.

Es gab nur wenige Dinge, die ihm mehr Hoffnung geben konnten.

»Die Hexen haben Abby«, erklärte er.

»Wo?«

Dante nahm sich einen Augenblick Zeit, um seine Gedanken nach seiner Gefährtin auszustrecken. »Unter uns. Im Keller.«

Viper nickte langsam. »Kannst du kämpfen?«

»Ich kann den Hexen keinen Schaden zufügen, die den Zauber wirkten, der mich an den Phönix bindet. Die neueren Hexen sollten keine Schwierigkeit darstellen.«

Viper lächelte und entblößte dabei seine Fangzähne. »Überlasse sie mir.«

»Da gibt es auch eine Dämonin«, warnte Dante ihn. »Wir müssen uns vergewissern, dass sie keine hässliche Überraschung für uns plant.«

Viper neigte den Kopf nach hinten, um gründlich zu wittern, und wirkte überrascht.

»Eine Shalott. Also sind nicht alle von ihnen verschwunden. Wie ungeheuer faszinierend.«

Dante schnitt eine Grimasse, als er das fieberhafte Glitzern in den mitternachtsschwarzen Augen erblickte. Es ging das Gerücht, Shalott-Blut sei für Vampire ein Aphrodisiakum. Das war zweifelsohne die Erklärung dafür, dass sie sich dazu entschieden hatten, mit dem dunklen Herrscher zu gehen. Ohne seinen Schutz würden sie von den Vampiren gejagt, bis sie ausgerottet wären.

»Kümmere du dich um Edra; ich werde mich mit der Dämonin befassen«, meinte Dante ernst.

»Na, Dante, erzähle mir bloß nicht, dass du von dieser Kreatur verfuhrt wurdest!«, spottete Viper. »Was wird Abby nur dazu sagen?«

»Sie möchte, dass die Dämonin verschont bleibt.«

Viper hielt inne. »Weshalb?«

»Weil sie uns hätte töten können und es nicht tat.«

»Menschen.« Viper schüttelte den Kopf, während eine schwer zu erkennende Emotion seine Augen verdunkelte. »Sie sind so schwach.«

Dante straffte die Schultern und warf einen Blick auf die Tür. »Bist du bereit?« Viper stellte sich neben ihn. »Wie lautet der Plan?«